Malikitische Rechtschule

Imam Malik und die Schule von Medina

Eines der wichtigsten Ereignisse der islamischen Geschichte war die Auswanderung der frühen muslimischen Gemeinde und des Propheten Muhammads von Mekka nach Medina. Diese fand im Jahr 620 n. Chr. statt und markiert den Beginn der islamischen Zeitrechnung. Fortan war die junge Gemeinschaft keiner Verfolgung mehr ausgesetzt und konnte sich selbst entsprechend den Geboten und Verboten der islamischen Lehre organisieren. Und wie kein anderer Ort war es Medina, wo der Prophet lehrte, Recht sprach, Konflikte schlichtete und Offenbarungen empfing. Folglich genießt die „Stadt des Propheten“ (Madînah al-Nabî) – so ihr vollständiger Name – ein besonderes Prestige unter allen späteren Muslimen.

Etwa 90 Jahre nach diesem epochalen Ereignis erblickte Mâlik ibn Anas ebenfalls in Medina das Licht der Welt. Im Laufe seines langen Lebens sollte er zu einem der einflussreichsten Gelehrten und Rechtsausleger der muslimischen Gemeinschaft werden und genießt als Begründer der Malikitischen Rechtschule (Mâlikiyya) bis heute größten Ruhm und Anerkennung. In seinem wichtigsten Buch al-Muwatta skizzierte er die Grundlagen seiner Rechtsauslegung und des islamischen Ritus. Dabei spielen für ihn die Praktiken und Gewohnheiten der frühen Medinenser (‘Amâl ahl al-Madînah) eine entscheidende Rolle, weil sie wie niemand sonst vom prophetischen Vorbild beeinflusst wurden und von ihm lernen konnten. Dies ist einer der Hauptunterschiede zwischen der Malikitischen Rechtsschule und ihren sunnitischen wie schiitischen Pendants, weswegen man sie auch die „Schule von Medina“ nennt.

Die Mâlikiyya – Aus Tradition vielfältig

Im Laufe der Geschichte hat sich die Malikitische Rechtsschule vor allem im Osten der Arabischen Halbinsel sowie in Nord- und Westafrika ausgebreitet. Auch das islamische Andalusien war maßgeblich durch sie geprägt. Und noch heute bildet die Mâlikiyya eine der zahlenmäßig größten Strömungen im (sunnitischen) Islam. So prägt sie weiterhin unterschiedlichste Völker, Sprachgemeinschaften und Kulturen. Anderseits haben diese diversen Einflüsse und regionalen Unterschiede auch zur Herausbildung einer inklusiven und vielfältigen religiösen Tradition beigetragen (Besonders weil die Malikitische Rechtschule dem etablierten Gewohnheitsrecht (‘Urf) große Bedeutung beimisst). Zu ihren bedeutendsten Vertretern gehörten unter anderem die Gründerin der ersten Universität Fâtima al-Fihrî (gest. 880), die Juristen Abû Bakr ibn ‘Arabî (gest. 1148) und Qâdî ‘Iyâd (gest. 1149) sowie der Autor des weltberühmten Gedichts „al-Burdah“ Imam al-Busayrî (gest. 1295), der Weltreisende Ibn Battûta (gest. 1377), der Historiker Ibn Khaldûn (gest. 1406) und die Fulani-Dichterin Nana Asma’u (gest. 1864).